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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.11.2005


Jasmin Tabatabai im Interview
Tatjana Zilg

Anlässlich des Filmstarts zu "Fremde Haut" spricht die erfolgreiche und sehr charismatische Schauspielerin über ihre ungewöhnliche Rolle, die Asylthematik, lesbische Identität, Dreifachbelastung...




AVIVA-Berlin interviewte Jasmin Tabatabai an einem sonnigen Nachmittag in der Nähe der Hackeschen Höfe.

AVIVA-Berlin Was war die größere Herausforderung an der Hauptrolle in "Fremde Haut": eine Frau zu spielen, die sich als Mann ausgeben muss, oder eine Frau, die ihre Homosexualität verheimlichen muss, obwohl sie sich in ihre Kollegin verliebt?
Jasmin Tabatabai: Ich glaube, die größte Herausforderung war die Verwandlung in einen Mann. Witzigerweise war eine besondere Schwierigkeit der Akzent. Ich spreche zwar selbst persisch und deutsch, aber ohne jeglichen Akzent. In der Vorbereitung habe ich mir überlegt, wie ich diesen Akzent deutlich machen kann, ohne dass er in ein Klischee abfällt. Einen ganz harten Akzent zu sprechen wäre leicht gewesen. (Imitiert sehr lebhaft den typischen Kreuzberg-Türkisch-Slang, Anm. der Red.) Aber es hinzubekommen, dass hier jemand ist, der sehr gut deutsch spricht, aber doch einen leichten Akzent hat, war diffizil. Ich habe dafür fünf verschiedene Iranerinnen aufgenommen, die in Deutschland leben, aber mit Akzent sprechen. Ich habe es dann miteinander verglichen und mir etwas daraus zusammengebastelt. Zudem kam, dass ich mir die Haare sehr kurz schneiden lassen musste. Für mich bedeutet das nun ein Jahr kurze Haare, und ich mag an mir selbst lange Haare. Etwas für die Eitelkeit war dieser Film nicht. Es war extrem, morgens in der Maske immer genau das Gegenteil von dem gemacht zu bekommen, wodurch eine Frau schöner erscheint. Homosexualität zu spielen fiel mir dagegen leicht. Ich hatte bereits intensive lesbische Szenen in vorherigen Filmen wie "Unbeständig und kühl" und "Gripsholm".

AVIVA-Berlin Fiel es Dir leicht einen Mann zu spielen?
Jasmin Tabatabai: Eigentlich ja. Ich bin ja durchaus ein burschikoser Typ und konnte meinen ein Jahr älteren Bruder als Rollenvorbild nehmen. Zusätzlich habe ich einige Körperhaltungen meines Vaters übernommen. Dadurch fand ich das nicht so schwer. Wir mussten natürlich noch einiges korrigieren. Als wir konkretisiert haben, was ist männlich, was ist weiblich, kamen wir beispielsweise darauf, dass
Männer einen fester anblicken, weniger mit den Augen weggehen, den Blick viel seltener niederschlagen als Frauen.

AVIVA-Berlin War die persönliche Berührung durch die Rolle größer als bei Deinen anderen Filmen, da Du selbst Deine Kindheit in Teheran verbracht hast?
Jasmin Tabatabai: Meine Geschichte ist natürlich eine komplett andere. Aber dadurch, dass ich zum ersten Mal eine Iranerin gespielt habe, was es schon ein besonderer Film für mich. Ich habe im Vorfeld und während der Drehs hohen Wert darauf gelegt, dass die persische Mentalität stimmig dargestellt wird. Wenn wir uns gestritten haben, ob beispielsweise die Bedeutung des Amulettes richtig erklärt wird, habe ich immer gesagt: "Ich kann mich nicht blamieren vor allen Iranern, das ist nicht persisch, so geht das einfach nicht." Ich war dadurch sicherlich noch genauer als sonst.

AVIVA-Berlin Seit einiger Zeit ist die Parallelexistenz muslimischer Werte in Deutschland wieder stark umstritten. Wie stehst Du zur aktuellen "Kopftuchdebatte"? (In der Anfangsszene von "Fremde Haut" wird sehr eindrucksvoll gezeigt, wie Fariba sich kurz nach der Grenzüberfliegung ihres Kopftuches entledigt.)
Jasmin Tabatabai: Zuerst möchte ich sagen, dass ich den Glauben von jedem respektiere, ob es der islamische, christliche oder buddhistische Glaube ist. Glaube ist zum großen Teil Privatsache, jeder sollte da respektiert werden. Aber hier geht es um ein Politikum. Natürlich ist der Schleier auch ein Zeichen der Unterdrückung. Ich finde es richtig, dass man in deutschen Schulen keinen Schleier tragen sollte.

AVIVA-Berlin Hast du aufgrund Deiner Herkunft in Deutschland negative Erfahrungen gemacht?
Jasmin Tabatabai: Ich habe deshalb noch nie negative Erfahrungen gemacht. Das hängt natürlich auch damit zusammen, wie ich mich gebe und wie ich
bin. Ich finde, man muss immer die Gepflogenheiten des Landes, in dem man lebt, respektieren. Aber ich spreche ja auch akzentfrei deutsch. Als Halbdeutsche gehe ich sicherlich auch anders damit um, ich fühle mich schon eher deutsch. Der Iran ist das Land meiner Kindheit, Deutschland das Land meines täglichen Lebens. Ich bin sehr froh, dass ich in einem Land leben kann, wo ich als Frau viel mehr Rechte habe als in einem Land, wo beispielsweise die Zeugenaussage einer Frau vor Gericht die Hälfte dessen gilt, was ein Mann aussagt. Aber das gilt genauso für Deutsche im Ausland. Ich ärgere mich über Deutsche oder Amerikaner, die im Iran respektlos mit den dortigen Gepflogenheiten umgehen. Ich bin nicht für Assimilation, aber wer in Deutschland lebt, sollte sich an den freiheitlichen, demokratischen Prinzipien orientieren, die hier bestimmend sind.

AVIVA-Berlin Die Asylthematik ist immer wieder ein heißes Eisen in der politischen Diskussion. Im Film soll Siamak, dessen Identität Fariba nach seinem Selbstmord angenommen hat, nach kurzer Zeit wieder in den Iran zurückgeschickt werden. Sein Leben sei dort nicht mehr gefährdet, da seine Studentenorganisation legalisiert worden ist. Wird die Asylgewährung generell zu schwer gemacht?
Jasmin Tabatabai: Das ist ein sehr, sehr schwieriges Thema, das muss man in jedem Fall speziell ansehen. Ich denke aber, dass es für jeden Menschen ein sehr großer Schritt ist, seine Heimat zu verlassen. Es ist mir damals sehr schwer gefallen, meine Freunde, mein Zuhause, mein gewohntes Umfeld aufzugeben, obwohl ich in einem Alter war, wo man sich noch relativ schnell umstellen kann. Deutschland ist ja nun auch kein Einwanderungsland, wo alle sehr offen sind und alle Jeden willkommen heißen. Es ist ein Land, wo man sich erst mal eher schwer tut. Es ist nie leicht, aus der Heimat zu flüchten, schon gar nicht, wenn man die Staatsbürgerschaft nicht hat, die fremde Sprache nicht beherrscht. Es sind oftmals schwere menschliche Dramen, die durch den langen bürokratischen Prozess noch verschärft werden. Die Asylbewerber werden ja oftmals jahrelang in diesen deprimierenden, unwürdigen Lebensbedingungen festgehalten. Sie dürfen nicht arbeiten, wodurch das Risiko hoch ist, in die Kriminalität abzurutschen. Es ist unverständlich, dass die Leute so lange in einer Ungewissheit über ihr Verfahren gelassen werden.

AVIVA-Berlin Homosexualität wird in dem Film als Krankheit bezeichnet, von dem die Frauen in Teheran geheilt werden müssen. Hier in Berlin ist das ja mittlerweile eine relativ normale Sache.
Jasmin Tabatabai: Es ist hier bei uns in den letzten 10, 20 Jahren sehr tolerant geworden. Wir haben einen schwulen Bürgermeister, wir haben schwule Politiker, in vielen Fernsehserien gibt es lesbische oder schwule Pärchen. Ich finde es sehr erfreulich, dass nun Homosexualität offensichtlich akzeptiert wird. Im Iran und auch in einigen anderen Ländern ist das noch ganz anders, dort ist es ein Thema, das stark tabuisiert ist. In Bezug auf Frauen wird darüber gar nicht geredet. Ich glaube, die Äußerung mit der Krankheit ist ein Zitat, das die Regisseurin Angelina Maccarone aus dem Gespräch mit einer iranischen Homosexuellen bezogen hat. Als ich für die Rolle recherchiert habe, suchte ich im Internet nach Weblogs und Foren für iranische Lesben. Ich wollte wissen, wie sie im Iran leben können. Aber ich habe nichts dazu gefunden. Es wird auch allgemein nicht über weibliche Sexualität geredet. Ich glaube, das hat seine Wurzeln darin, dass in diesen Ländern Frauen keine Sexualität zugestanden wird. Schon gar nicht eine andersartige. Die Kinder werden sehr unterschiedlich erzogen. Bei den Jungs gibt es einen richtigen Peniskult. Die Mädchen dagegen werden zur Scham erzogen, das Wichtigste sei, die Unschuld zu bewahren. Und so entstehen all die kleinen Machos, die es auch hier in Berlin zu Genüge gibt.

AVIVA-Berlin Die Rolle forderte die Einfühlung in eine Frau, die sich urplötzlich, aus einem anderen Kulturkreis kommend, unter härtesten Bedingungen in Deutschland zurechtfinden muss und das ausgerechnet in der schwäbischen Provinz. Wie empfandest Du als Wahlberlinerin die ländliche Umgebung?
Jasmin Tabatabai: Nun ja, ich kenne die schwäbische Provinz bereits aus meiner Schauspielschulzeit, ich habe in Stuttgart studiert. Es ist dort wirklich extrem anders als in Berlin, ähnlich wie in den Vororten von München. Für mich ist auch deshalb Berlin absolut die Stadt meiner Wahl. Ich kann mich erinnern, wie ich aufgeatmet habe, als ich nach Berlin gezogen bin. Dieses Weite, dieses Weltstädtische, das hat nur Berlin in Deutschland. Ich finde die Diskussionen über
Multikulturalität auch übertrieben, es ist doch vieles längst einfach da, wie die Rapper, die oft Mischlingskinder sind, das internationale Essen, die vielfältigen Herkünfte der Schauspieler und Künstler. Da wirkt es auf mich lachhaft, wenn darüber gesprochen wird, dass die multikulturelle Gesellschaft gescheitert sei.

AVIVA-Berlin Du bist Mutter eines dreijährigen Kindes. Wie kommst Du mit der Doppelbelastung Schauspielberuf und Mutterpflichten zurecht?
Jasmin Tabatabai: Bei mir ist es sogar eine dreifache Belastung, da ich auch Musik mache. Ich kann nicht alles gleichzeitig, deshalb hat es auch gedauert, bis ich mit meinem neue Album begonnen habe. Ich habe auch relativ wenig gedreht. Ich denke, beim ersten Kind ist es eine Komplettumstellung. Mein Mann und ich haben uns entschieden, sehr viel Zeit mit unserem Kind zu verbringen. Letztendlich sind es ja nur ein paar Jahre, wo man sich für das Kind zurücknimmt. Ich hätte es schon schwierig gefunden, mein Kind früh in eine Krippe zu geben und es kaum zu sehen. Das große Glück ist, dass mein Mann freiberuflich tätig ist, und wir uns die Kinderbetreuung teilen können. So habe ich genügend Zeit für meine aktuellen Projekte. Im Kleinkindalter geht es auch schon wieder, man muss halt alles gut organisieren. Als sie ein Baby war, habe ich wirklich nur das Allernötigste gearbeitet.

AVIVA-Berlin Gibt es für Dich eine Traumrolle, die Du unbedingt einmal spielen möchtest? Würdest Du gerne wieder eine Theaterbühne betreten?
Jasmin Tabatabai: Ich würde gerne wieder einmal Theaterspielen, aber bisher hat es sich zeitlich nicht ergeben. Es müsste auch das Umfeld stimmen, denn in erster Linie bin ich Filmschauspielerin. Als Gast würde ich beim Theater gerne mitmachen, aber es ist nicht zwingend. Eher würde ich lieber wieder mit meiner Musik auf Tour gehen.
Viele der Rollen die ich gespielt habe, sind Traumrollen, ob es jetzt "Bandits" war oder "Fremde Haut". Das sind ungewöhnliche, starke Frauenfiguren, die es viel zu selten auf der Leinwand gibt. Wahnsinnig gerne würde ich eine Komödie mit einer tollen Frauenrolle drehen oder einen Action-Film.

AVIVA-Berlin Hast Du schauspielerische Vorbilder, die Du bewunderst?
Jasmin Tabatabai: Ich glaube, die Vorbilder, die einen ein Leben lang begleiten, kommen eher aus dem Alltag, ob es nun eine ältere Schwester oder die Mutter ist. Ich finde Schauspielerinnen meist in einer ganz bestimmten Rolle, in einem ganz bestimmten Film toll. Zudem bewundere ich Menschen, die nicht nur in ihrem Beruf glänzen, sondern auch bewusste, politische Personen und dadurch herausragende Persönlichkeiten sind. Zum Beispiel hatte ich das Glück, auf der Berlinale Susan Sarandon und ihren Mann Tim Robbins kennen zu lernen. Das sind Menschen, die auch etwas zu sagen haben außerhalb ihrer filmischen Karriere, mit einem großen politischen Bewusstsein durch das Leben gehen und zu Vorbildern für die Jugend werden können. Man muss ja nicht immer mit allem konform gehen, was sie sagen, aber es sind einfach sehr untypische, herausragende Leute.

AVIVA-Berlin Du hast im März 2005 den "Persian Academy Award" bekommen.
Jasmin Tabatabai: Ja, das ist eine Auszeichnung von Exil-Iranern für besonders erfolgreiche Iraner. Er wurde zum ersten Mal vergeben, und ich erhielt ihn als berühmte iranische Schauspielerin für mein frühes Lebenswerk. Es war eine schöne Veranstaltung in der Köln-Arena vor 13.000 Menschen.

AVIVA-Berlin Wann kommt denn das nächste Album auf den Markt? Wird es ähnlich sein wie "Only Love"?
Jasmin Tabatabai: Angepeilt für die Veröffentlichung ist April/Mai. 2006. Es soll etwas weniger roh werden, "Only Love" war eine selbstproduzierte kleine Platte, und ich würde die Neue gerne etwas professioneller gestalten.

AVIVA-Berlin Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Jasmin Tabatabai: Ich wünsche, dass es meiner Familie und mir gesundheitlich gut geht, wir glücklich sind, dass wir unser Haus fertigbekommen, und ich darüber hinaus viele spannende Projekte machen kann.

AVIVA-Berlin Vielen Dank für das Interview!

Mehr zum Film "Fremde Haut" und das Interview zur CD "Only Love".


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Beitrag vom 06.11.2005

AVIVA-Redaktion